
Die Schule ist ein wichtiger Ort für die Ausbildung und Entwicklung von Wertvorstellungen bei Kindern und Jugendlichen. Dabei spielen auch und gerade die MINT-Fächer eine wichtige Rolle. Viele Fragen, die sich Kinder und Jugendliche stellen und die ihre Zukunft betreffen, stammen aus dem naturwissenschaftlichen Spektrum: Die Möglichkeiten der Energieeinsparung und der alternativen Energiegewinnung, die Erderwärmung und die Folgen des Klimawandels, die Frage nach dem „richtigen“ Verhalten im Sinne einer nachhaltigen, umweltbewussten und gesunden Lebensweise.
Im Unterricht steht häufig das fachliche Wissen im Vordergrund. Dabei ist die Anwendung von naturwissenschaftlich-technischem Fachwissen untrennbar mit Wertefragen, -haltungen und -entscheidungen verbunden. Nur wer sich mit diesen auseinandersetzt, kann bewusst gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.
Ziel des Projektes war, bayernweit Wertefragen stärker in den MINT-Unterricht zu integrieren und die Lehreraus- und -fortbildung entsprechend weiterzuentwickeln. Es richtete sich an Pädagogen der Grund- und weiterführenden Schulen in ganz Bayern.
Methoden
Die Methode Service-Learning und das Programm Experimento bieten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihre Wertvorstellungen im Unterricht zu reflektieren, zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Zu beiden wurden von der Siemens Stiftung bereits in Vorgängerprojekten Materialien entwickelt, beide waren zu Projektstart evaluiert und im schulischen Kontext erprobt und sollten deshalb dauerhaft zur Wertebildung in den MINT-Fächern verankert werden.
Service-Learning
Service-Learning (Deutsch: Lernen durch Engagement, abgekürzt LdE) ist eine Lehr- und Lernmethode, die fachlichen Unterricht mit einem gesellschaftlichen Engagement und zugleich mit Werte-Fragen verbindet. Sie schafft Erfahrungsräume, in denen Schülerinnen und Schüler ihre Wertvorstellungen reflektieren, hinterfragen und weiterentwickeln. In einem früheren gemeinsamen Modellprojekt der Siemens Stiftung und der Stiftung Lernen durch Engagement „Service-Learning in den MINT-Fächern“ wurden bereits unterstützende Materialien für den Unterricht entwickelt, insbesondere das Web Based Training (WBT) für Lehrkräfte, eine onlinegestützte Fortbildung in drei Modulen.
Experimento und Werte
Mit Experimento wird die Methode des Forschenden Lernens umgesetzt: Schülerinnen und Schüler entwickeln dabei selbstständig naturwissenschaftliche Fragestellungen, erarbeiten Lösungen und reflektieren diese. Die Herausbildung von Werten wird sowohl im
Lernprozess als auch gegenstandsbezogen durch Impulsfragen, Reflexion-Diskussion und Dilemmata ermöglicht. Seit 2012 im Einsatz, hat sich Experimento bereits in der Praxis bewährt. Methodische Fortbildungen für Lehrkräfte an bundesweit fünfzehn Experimento-Zentren, didaktisch aufbereitetes Lehrmaterial als offene Bildungsmedien (OER: Open Educational Resources), online abrufbar auf dem Medienportal der Siemens Stiftung sowie konkrete Experimentiermaterialien geben Anregungen für einen Unterricht, der naturwissenschaftliches Fachwissen mit Weiterbildung verbindet.
Dennoch nahmen 29 Lehrkräfte aus insgesamt 16 Grund- sowie weiterführende Schulen ganz Bayerns gemeinsam mit außerschulischen Partnern an den Schulungen zur Lehr- und Lernmethode Service-Learning in den MINT-Fächern teil, mit einem besonderen Fokus auf die Einbindung von Werten in den Unterricht.
Aufgrund der Pandemie wurden kurzfristig eigens entsprechende Online-Formate konzipiert und erfolgreich durchgeführt. Auf diese Phase der Befähigung erfolgte dann planmäßig die gemeinsame Auftaktveranstaltung mit allen Beteiligten, eingebettet in die Fachtagung „Lernen durch Engagement“ in Nürnberg.
Trotz der herausfordernden Rahmenbedingungen gelang es im Corona-Schuljahr 2020/21 engagierten Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Schularten und Jahrgangsstufen, mit großer Kreativität und Flexibilität Service-Learning-Projekte in den MINT-Fächern zu entwickeln.
Zum Beispiel haben Schülerinnen der Jahrgangsstufe 7 an der Mittelschule in Ampfing im Fach Natur und Technik kleine Lernvideos zum Thema „Feuerbekämpfung“ für Grundschüler*innen erstellt, um sie auf unterhaltsame Weise beim Lernen im home schooling zu unterstützen. Und ein P-Seminar des Gymnasiums Neuburg erstellte Experimentierboxen mit entsprechenden Arbeitsmaterialien, die ebenfalls von Grundschulen genutzt werden können. Auch Projekte für eine bienenfreundliche Bepflanzung im Stadtteil oder zur Aufklärung und Vermeidung von Müll konnten trotz der Pandemie durchgeführt werden.
Die Fortbildung zur Methode des Forschenden Lernens mit Experimento haben schließlich 13 Lehrkräfte von insgesamt 10 Grund- und weiterführenden Schulen zu Beginn des zweiten Schulhalbjahr des Schuljahrs 2021/22 im Blended-Learning-Format absolviert. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Verbindung eines experimentellen, forschenden Unterrichts mit Wertbildung bspw. durch Dilemmata und Rollenspiele.
In den verbleibenden Projektwochen haben einige Lehrkräfte erste Elemente von Experimento mit Wertebildung erfolgreich in ihren Unterricht integriert, andere für weitere Unterrichtsstunden geplant.
Die Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen (ALP) hat die Methoden Service-Learning und Experimento mit Wertebildung in ihr Angebot für Führungskräfte aufgenommen und wird diese im Schuljahr 2022/23 erstmals anbieten.
Die ersten Veranstaltungen zu Service-Learning stießen trotz der turbulenten Zeiten auf großes Interesse und Begeisterung bei den Teilnehmenden, auch wenn wegen der Pandemie nicht jedes Projekt wie geplant durchgeführt werden konnte.
Startschuss für einen regen Austausch:
Auftaktveranstaltung für die Praxisphase von Service-Learning am 1.10.2020
„Für uns als Siemens Stiftung war es wieder einmal eine bereichernde Erfahrung, dass unsere Materialien und unser Medienportal für Schulen und Lehrkräfte über ein solches Projekt in der Praxis Anwendung fanden und wir eine direkte Rückmeldung dazu erhalten konnten. Dass die Rückmeldungen so positiv ausgefallen sind, freut uns natürlich ganz besonders.“
Christa Mühlbauer, Projektleitung MINT und Werte, Siemens Stiftung
„Warum wir bei MINT und Werte mitmachen? Wir sind seit Jahren erfolgreiche und begeisterte MINT-Schule und ständig bestrebt, Neues auszuprobieren und hohe Qualität zu halten. MINT ohne Werte geht eigentlich nicht, sodass dieses Angebot eine Chance ist, uns wissenschaftlich begleitet zu professionalisieren. Gerade als KOMPASS-, Seminar- und Umweltschule passt dieses Projekt hervorragend in unser Schulentwicklungskonzept. Der Zeitpunkt in der derzeitigen ,Digitalisierung’ der Schulen ist perfekt für die Einbindung der Wertevermittlung.“
Hannelore Reil-Heining, Schulleitung an der Naabtal-Realschule Nabburg
„Wir haben uns zu diesem Projekt entschlossen, da wir sehr neugierig sind, wie Lernen durch Engagement in der beruflichen Oberschule umgesetzt werden kann – ohne in Zeitnot und Notenstress zu kommen, besonders im Hinblick auf das Abitur. Außerschulisches Engagement ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft und das wird mit LdE auf wunderbare Weise umgesetzt. Leider lässt uns die Pandemie derzeit keinen Raum, das Projekt umzusetzen. Aber wir bleiben zuversichtlich.“
Monika Schwarzenberger und Christine Steinheimer von der FOS/BOS in Friedberg
Schülerinnen und Schüler der Qualifikationsphase der Jahrgangsstufe 11 entwickelten trotz komplettem Distanzunterricht in ihrem Projekt-Seminar Chemie zusammen einen naturwissenschaftlichen Experimentierkoffer mit spannenden Versuchen für alle 37 Grundschulen des kompletten Landkreises. Die Seminarteilnehmenden experimentierten dabei selbst im heimischen Küchenlabor bzw. später aufgrund coronabedingter Einschränkungen bei den schulischen Laborplätzen open air auf der „Experimentierwiese“. Sie erstellten eine hochwertig gedruckte Versuchbroschüre mit Lösungen zu allen Experimenten und gaben so ihr experimentelles Wissen sowie sämtliche Versuchsmaterialien kostenlos an umliegende Grundschulen weiter.
Im November 2021 erzielte das Projekt den 1. Platz beim bayernweiten LdE-Preis „Eine Klasse für sich und andere“, der von der Castringius Stiftung in Kooperation mit der Stiftung Gute Tat und dem bayerischen Kultusministerium vergeben wird.
Projekt „MINTerpol“, Johann-Michael-Fischer-Gymnasium Burglengenfeld, betreut von der Service-Learning-Schulbegleiterin Maria Dirnberger (Freiwilligenagentur Schwandorf)
„Service-Learning heißt auch, sich gemeinschaftlich zu überlegen, wie wir das, was wir an der Schule lernen und was wir an Wissen und an Kompetenzen erwerben, im Leben einsetzen können. Der Bezug zwischen Lernen und Wirklichkeit ist gerade auch in schweren Momenten, wie wir sie derzeit mit Corona erleben, so wichtig – wahrscheinlich auch noch mehr als in anderen Zeiten, wo alles nach Plan läuft.“
Projektpartnerin Claudia Leitzmann, Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern
„Service-Learning in den MINT-Fächern hat meinen Ansatz und den Rahmen des Möglichen für den ,einfachen Alltagsunterricht’ und den Distanzunterricht – auch außerhalb des Projekts und konzeptioneller Leitgedanken – beeinflusst. Schülerinnen und Schüler erstellen klassenübergreifend eigene digitale Lernanwendungen und unterstützen dadurch die Mitschülerinnen und -schüler beim Erschließen von Inhalten, beim Lernen und in der Vorbereitung.“
Walter Buller, Mittelschule Ampfing
„Dadurch, dass sich meine Schülerinnen und Schüler ihren Engagementpartner und ihr Projekt selbst ausgesucht hatten, wurde es zu ihrem Projekt. Sie verfolgten es mit so viel Engagement und Herzblut, dass es eine wahre Freude für mich war, sie dabei zu begleiten und zu unterstützen.“
Susanne Hammer, Descartes-Gymnasium Neuburg a. d. Donau
Schülerinnen und Schüler der 6. Ganztagsklasse behandelten im Fach Natur und Technik die Flora und Fauna von einheimischen Gewässern und engagierten sich für Natur und Umwelt, indem sie eine Ausstellung darüber für alle anderen Schülerinnen und Schüler in der Aula der Schule organisierten. Die Teilnahme an der Weltwasserwoche mit der Vorstellung des Projekts musste leider coronabedingt ausfallen.
Projekt „Artenvielfalt an heimischen Gewässern“, Mittelschule Neunburg vorm Wald, betreut von der Service-Learning-Schulbegleiterin Maria Dirnberger (Freiwilligenagentur Schwandorf)
„Materialien zu entwickeln und diese in einer Fortbildung einzusetzen, ist Reflexion und Motivation gleichermaßen für mich. Wenn die Lehrkräfte gemeinsam zu unterschiedlichen Themen experimentieren und in der Rolle der Lernenden auch über die Bedeutung der Themen für die Umwelt und uns Menschen diskutieren, wird aus MINT und Wertebildung plötzlich eins. Wenn Sie das Für und Wider abwägen und in den Pausen noch immer heftig dazu weiterdiskutieren, dann bin ich sicher, sie werden „Experimento“ bei nächster Gelegenheit auch im Unterricht ausprobieren. Das heißt für mich – Ziel erreicht.“
Dr. Andreas Schmitt, Universität Osnabrück
„Junge Menschen über Wertefragen zum Nachdenken anregen, mit ihnen diskutieren und sie zum Handeln ermuntern – das wollen wir mit dem „Wertebündnis Bayern“ unterstützen. Dass dies im schulischen Bereich nicht nur in Fächern wie Religion, Ethik oder Sozialkunde wichtig ist, sondern ganz besonders auch in den MINT-Fächern, wollten wir mit diesem Projekt deutlich machen. Und es hat sich gezeigt, dass dies auch in Krisenzeiten möglich ist, ja, dass ein Ereignis wie die Pandemie auch neue Werte-Fragen aufwirft, mit denen sich Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen können und wollen.“
Dr. Andrea Taubenböck, Geschäftsführende Vorständin, Stiftung Wertebündnis Bayern
MINT und Werte Zusammenfassung der Evaluation
Das Projekt „MINT und Werte“ wurde von Prof. Dr. Birgitta Kopp vom Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU München evaluiert. Darin standen zwei Fortbildungen und ihre jeweilige praktische Umsetzung zur Förderung von Wertebildung in der Schule im Mittelpunk: Die Fortbildung zu „Service-Learning in den MINT-Fächern“ (eine Präsenz- und zwei Online-Fortbildungen) und die Fortbildung zu „Experimento mit Wertebildung“ (eine Präsenzfortbildung). Beide Fortbildungen und die dazugehörenden späteren Praxis- und Projektphasen wurden von den teilnehmenden Lehrkräften mithilfe von Online-Fragebögen, die aus geschlossenen und offenen Antwortformaten bestanden, eingeschätzt.
Die Ergebnisse zeigen eine sehr hohe Zustimmung zu den jeweiligen Fortbildungen: Zum einen wurden die Durchführung, die bereitgestellten Unterlagen, der Referierende und die Atmosphäre positiv eingeschätzt, zum anderen auch die Vermittlung der Inhalte. Insbesondere wurde der Bezug zwischen Werten und MINT verdeutlicht. Die Praxis- bzw. Projektphasen erzielten insgesamt betrachtet ebenfalls hohe Werte, allerdings etwas niedrigere als die Fortbildungen. Diese sind den Schwierigkeiten in der Durchführung aufgrund von Corona geschuldet. Dennoch wurde das Hauptziel, Schülerinnen und Schüler für Werte im MINT-Unterricht zu sensibilisieren durch beide Ansätze, „Service-Learning in den MINT-Fächern“ und „Experimento mit Wertebildung“, erreicht. Auch sehen die Lehrkräfte in diesen Ansätzen einen großen Mehrwert für den Unterricht: Durch den Praxis- und Anwendungsbezug wird die Motivation der Schülerinnen und Schüler erhöht, nachhaltiges Wissen vermittelt und die Selbsttätigkeit gefördert. Darüber hinaus werden die Lernenden für Werte im Bereich MINT sensibilisiert.
Projektträger:
Projektpartner:
Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen (ALP)
Landesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement Bayern (LBE)
Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB)
Technische Universität München (TUM)
Kooperationspartner:
Stiftung Lernen durch Engagement (LdE)
Schirmherrschaft:
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, StMProf. Dr. Michael Piazolo
Projektförderer:
